Was erwartet man von einer neuen großen Studentenwohnanlage? Dass sie den teuren Platz effizient und effektiv nutzt. Durch Blockbebauung und gerade Ränder. Rechte Winkel, Wege und Plätze, symmetrische Fahrradständer, Bänke und Grünflächen nutzen die Fläche optimal. Außerdem ordnen und beruhigen gerade Linien.
Doch Symmetrie und Flächeneffizienz können auch kühl und statisch wirken.
Warum fühlen wir uns in mittelalterlichen Stadtstrukturen mit ihren gebogenen Straßen, bei denen man das Ende nicht sehen kann, ihrer Kleinteiligkeit und Maßstäblichkeit wohl? Was zieht uns magisch an, einmal abgesehen von den putzigen Fassaden? Es ist die unmittelbar sinnlich-körperliche Wirkung, ein Gefühl von Heimat im Sinne von Nestwärme. Der architektur-akademisch geprägte Kopf mag verächtlich sagen: „Puppenstube!“ Der Körper ruft: „Hier fühle ich mich verstanden und gehalten.“
Die Studentenwohnanlage an der Boeselagerstraße in Münster greift das auf und schafft bei immerhin 535 Bewohnern auf einer Wohnfläche von 18.000m² einen eigenen fließenden, asymmetrisch geordneten Stadtraum, der nicht einschüchtert, sondern ein fast dörfliches Gefühl von Geborgenheit vermittelt.
Vier Baublöcke bilden das Herzstück der Strategie. Sie haben die gleiche Grundform, kopieren einander aber nicht, sondern treten als echte Individuen auf. Dazu trägt insbesondere die Anordnung bei. Die Baublöcke selbst bilden keine regelmäßigen Rechtecke, die kurzen Seiten haben unterschiedliche Längen, es gibt keine rechten Winkel. Diese leichte Verschiebung sorgt bereits für Dynamik. Auch zueinander sind sie asymmetrisch angeordnet. Sie wirken wie wahllos hingeworfene Puzzlestücke.
Dort, wo die Baublöcke sich fast zu berühren scheinen, entstehen enge Durchgänge. Wo sie weiter voneinander entfernt sind, überraschende dreieckige Plätze.
Das Spiel mit Gegensätzen – hier Enge und Weite – ist typisch für die Studentenwohnanlage am Aasee. Die Strukturen überschneiden sich. Innen und außen. Hoch und niedrig. Verdichtet und entdichtet. Die Funktionen ebenso.
So gibt es nicht nur entweder öffentliche Bereiche oder private Bereiche, sondern viele Abstufungen und Intensitäten, ähnlich wie in einer Stadt der Gründerzeit. Da sind die eindeutig öffentlichen Räume, die Straßen und Wege, die Hauptplätze, geschaffen durch die unregelmäßig zueinander stehenden, asymmetrischen Baublöcke. Es gibt hausnahe Wege, Veranden und Treppen, die zwar öffentlich sind, aber der unmittelbaren Erschließung der einzelnen Häuser dienen oder der Erholung ihrer Bewohner und so eine Spur privater sind als die Hauptwege. Hecken, Mauern und Zäune sowie private Treppen zu den oberen Geschossen unterstützen diese Abgrenzung öffentlich/nicht-öffentlich.
Die Baublöcke selbst bilden vier geschlossene Innenhöfe. Auch hier bietet sich die Analogie zum klassischen Baublock an. Sie sind ruhig und intim, aber der gemeinsame Ort einer klar definierten Gemeinschaft, der des Stadtblocks.
Die Baublöcke sind differenziert ausformuliert. Sie bestehen jeweils aus vier Haupthäusern und vier Hinterhäusern. Das schafft im Innenhof Winkel und Nischen, Aufweitungen und Verengungen und diagonalschöne Blicke. Die Haupthausseite zu den Hauptwegen variiert ebenfalls in der Höhe, so werden Innen (Hof) und Außen (öffentliche Bereiche) optisch miteinander verzahnt. Die maximal vier Geschosse unterstreichen den Gemeinschafts- und Blockcharakter. Trotz einer Seitenlänge von 75 m wirkt alles verschachtelt, klein und kleinteilig.
Lebendig wirken die Farben der Fassaden. Vertraut und sympathisch sind der satte Ton und die intensive Strahlkraft. Das Rot ist ein Tomatenrot, das Gelb ein Sonnengelb, das Grün tiefes Grasgrün, das Ives-Klein-Blau erinnert an Himmel, Meer, Sommer, Sonne und Süden. In Kombination mit den weißen, unregelmäßig gesetzten Rahmen um die Fenster ergibt sich die Assoziationskette positiv, südländisch, entspannt, freiheitlich, offen. Vielleicht auch jung und verspielt. Die Nuancen mögen von Mensch zu Mensch verschieden sein, die Gedankenverknüpfung ist jedoch immer positiv.
Was auf dem Lageplan noch akademisch wirkt – das dank eines ausgeklügelten Grundrisses Fehlen von parallelen Blockrändern und Wegen – erzeugt beim Besucher sofort Wohlbefinden und Neugier. Die Sichtbeziehungen sind dynamisch. Mal wird der Blick gestoppt, mal umgeleitet, mal öffnen sich unerwartete Plätze. Beim ersten Besuch ist nichts vorhersehbar, der Gang durch das Areal eine Aneinanderreihung visueller Überraschungen.
Blick
Die Beziehungen der einzelnen Elemente untereinander, also städtebauliche Qualitäten, sind hier fast ebenso wichtig wie die einzelne Ausgestaltung. Es sind echte Räume entstanden, nutzbare, individuelle städtische Räume und keine temporäre Studentenwohnheimskulisse. Hier studiert und schläft man nicht nur, hier lebt man den ganzen Tag und das optional gemeinsam mit den Bewohnern des gleichen Hauses, des Blocks oder des gesamten Areals.
Die Größen der Wohnungen variieren zwischen 25 und 180 m², je nachdem ob man die 1-, 2- oder 3-Zimmerwohnung oder die Gruppenwohnungen mit 5 integrierten Appartements betrachtet.
Die städtebauliche Qualität sowie ein hoher Wohnwert und flexible Grundrisse waren schon bei der Ausschreibung eine zentrale Anforderung. Das im Passivhausstandard errichtete Quartier ermöglicht gemischtes Wohnen, das Nebeneinander von Studenten, Familien und Älteren bei konsequenter Barrierefreiheit. Je nach Entwicklung der Studentenzahlen wird es vielleicht einmal eine reine nicht-studentische Wohngegend werden.
Die Infrastruktur kann das jedenfalls leisten. Es gibt eine Kneipe, einen Kiosk, eine Kita, einen Waschsalon und andere Gemeinschaftseinrichtungen.
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