Quantcast
Channel: competitionline Projects
Viewing all articles
Browse latest Browse all 5494

Walnusswiese Ehrenthaler Hahn

$
0
0
UMWELTPREIS RHEINLAND-PFALZ 2014 Artenvielfalt mit Genuss - Ökosponsoring fürs Welterbe Eine in zweifacher Hinsicht ungewöhnliche Anfrage erreichte des Landschaftsarchitekturbüro Dirk Melzer im Frühjahr 2010: Man wolle im Rahmen einer Marketing-Aktion Bäume pflanzen und müsse nun wissen, welche und wohin? Nicht nur die Fragestellung war überraschend, sondern auch die Fragesteller: Es handelte sich nämlich um die beiden Brüder des Planers, Axel und Martin Melzer. Diese führen ein mittelständiges Unternehmen für Kühlanlagenbau und hatten bisher kein vertieftes Interesse an Baumarten und ihrer Verwendung gezeigt. Die Firma habe eine Auszeichnung für eine klimaneutral arbeitende Anlage gewonnen, erklärten die Brüder. Nun solle für jede verkaufte Anlage ein oder mehrere Bäume gepflanzt werden, quasi als Umweltzugabe der Firma. Der Landschaftsarchitekt sah vor seinem innere Auge das Foto in der Lokalzeitung: Bäumchen, Sitzbänke, Messingtafeln, zwei lächelnde Herren mit Spaten. Es war Zeit für ein klärendes Familiengespräch! Also machte sich der Planer auf die Reise in die Heimat. Defizite der Region erkennen Die Firma der Brüder liegt in der „Loreley-Gemeinde“ Bornich, unweit des berühmten Rheinfelsens. Die Region wurde 2002 von der UNESCO als „Welterbegebiet Oberes Mittelrheintal“ ausgewiesen. Der Rhein durchbricht hier das Schiefergebirge und hat sanft geneigte Hochterrassen über steilen Felshängen geformt. Das Tal ist von historischen Städtchen und mittelalterlichen Burgen geprägt. Steillagenweinbau und Tourismus gehören zu den traditionellen Einkommensquellen. Wie in vielen anderen ländlichen Regionen Europas nimmt die Bevölkerungszahl zum Teil dramatisch ab. Die industrialisierte Landwirtschaft kann mit dem aufwändigen Terrassenweinbau und kleinparzelligen Obstanbau nichts anfangen. Die ehemals bewirtschaftete, artenreiche Kulturlandschaft als Hauptmerkmal des Welterbegebietes verwahrlost und verschwindet unter Wald und Gebüsch. Sollte es da nicht spannendere Aufgaben geben als das bekannte Spendenensemble aus Baum und Bank? Aufgabenfeld individuell definieren Somit besichtigten die Brüder im Mai 2010 die ehemalige Walnussplantage auf dem Ehrenthaler Hahn bei St. Goarhausen. Um 1960 hatte die Gemeinde Prath 634 Walnussbäume auf dem Plateau am Steilhang angepflanzt. Die auf Schwarznüssen veredelten Bäume unterschiedlicher Sorten der berühmten Geisenheimer Obstbaumschule setzte man auf die 8 ha große Lößterrasse in einem Raster von 10 x 10 m. In felsigen Abschnitten mussten die Pflanzlöcher mit Dynamit gesprengt werden. Dreizehn Jahre später wurde die Ernte gewogen und verkauft: 109 kg Walnüsse ergaben 185 DM Ertrag. Bis zum November 1981 beliefen sich die Gesamtkosten der Anlage auf 33.136 DM. Obwohl die Bäume noch lange nicht das Alter des vollen Fruchtertrags erreicht hatten, verlor die Gemeinde den Mut und wandelte die Hälfte der Wiese in einen Eichenforst um. Der Rest der Plantage versank wortwörtlich im Dornröschenschlaf und wurde sporadisch in Mutterkuhhaltung beweidet. Bei ihrem ersten Besuch fanden die Brüder verbrachte Wiesen und artenreiche Halbtrockenrasen, übernutzte Kuhweiden und Gebüsche mit mehr oder weniger vitalen Walnussbäumen vor. Nur der beliebte „Rheinsteig“-Wanderweg, der die Wiese querte, wurde regelmäßig freigehalten. Kurzerhand fassten die Brüder den Entschluss, die Wiese für 25 Jahre zu pachten. Sie steckten sich zum Ziel, die Restplantage behutsam wiederherzustellen und sie im Sinne des Artenschutzes sowie der Entwicklung der Biodiversität ökologisch zu pflegen. Im Dezember 2010 konnte der Vertrag mit der Gemeinde in Anwesenheit des designierten rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz unterzeichnet werden. Dieser Pachtvertrag ist der Einzige in Rheinland-Pfalz, in dem sich ein Unternehmen aus eigenen Stücken und langfristig zu einem Engagement im Naturschutz verpflichtet. Landschaftliche Qualitäten herausarbeiten Im Winter 2010/2011 wurden die ersten Freistellungsmaßnahmen durchgeführt. Diese erfolgten weitgehend in Handarbeit und konzentrierten sich auf die botanische wertvollen Abschnitte aus Halbtrockenrasen (Mesobrometum), thermophilen Säumen mit Weinbergs-Traubenhyazinthe (Muscari neglectum) und Salbei-Glatthaferwiesenabschnitten (Salvio-Arrhenatheretum), die stark zu verbuschen drohten. Auch das Freischneiden der Walnussbaumreihen geschah manuell, um die Baumäste nicht zu beschädigen. Rosen und Weißdorne waren bereits bis in die Kronenspitzen vorgedrungen. Am Rand zum Steilhang hatten sich aber auch geschützte Felsgebüsche mit Felsenahorn (Acer monspessulanum) und Elsbeeren (Sorbus torminalis) in den Reihen breitgemacht. Diese wurden in ihrem Zustand belassen. Besonders schöne, tief beastete Traubeneichen, Elsbeeren, Felsenahorne, Ulmen und Weißdorne wurden als „Naturdenkmale der Zukunft“ freigestellt, damit sie sich als bildprägende Solitäre voll entwickeln können. Stark verbuschte, sehr trockene Bereiche mit zahlreichen zwergenwüchsigen und abgestorbenen Walnussbäumen blieben ebenfalls bestehen, um der Avifauna Habitate mit Grenzlinienreichtum zu erhalten. Die Beweidung der Wiese sollte weiter durchgeführt, aber extensiviert werden. Die Kühe kommen nun erst nach der Wiesenblüte Mitte Juni auf die Weide und bleiben dort bis zur Walnussernte Mitte September. Eine mineralische Düngung und jeglicher Pestizideinsatz sind ausgeschlossen. Vorgehen wissenschaftlich reflektieren Die Maßnahmen auf dem Ehrenthaler Hahn werden wissenschaftlich begleitet. Die Landschaftsarchitekturstudentin Kathrin Saueressig beschäftigte sich 2013 in ihrem Praxissemester und ihrer Bachelorarbeit bei Prof. Klaus Werk (Universität Geisenheim) mit dem Projekt. Hierzu gehörte eine Recherchereise zum Walnussspezialisten Anton Schott an den Kaiserstuhl in Baden. Im Zentrum des Diskurses stand der Widerspruch zwischen der intensiven Pflege und Düngung einer potentiell ertragreichen Sonderkultur und der gewünschten nährstoffarmen Wiese mit hohem Artenreichtum. Die Gretchenfrage „Blümchen oder Nüsse?“ wurde mit der klaren Entscheidung: „Lieber weniger Nüsse und dafür mehr Blümchen!“ beantwortet. Desweiteren konnten Walnussorten bestimmt und Empfehlungen für geeignete Nachpflanzungen erörtert werden. Ein Problem stellt die vermutlich weitgehende Veredelung des Bestandes auf Schwarznussunterlage dar. Die Bäume sind krankheitsanfällig und, nach bisheriger Erfahrung, wenig langlebig. Dies ist bereits heute an den besonders flachgündigen, trockenen Standorten des Bestandes erkennbar. Sollte das trockene Plateau überhaupt genutzt werden? Nachforschung zu den Ortsnamen und Flurbezeichnungen machten klar, dass der Ort seit Jahrhunderten kultiviert wurde. „Prath“ stammt vom lateinischen „pratum“ und bedeutet Wiese, „Hahn“ kommt vom althochdeutschen „Hagan“ und bedeutet mit „Strauchwerk umgrenzter Hain“. Da sich die vorhandenen Walnüsse auf den trockenen Standorten schwer tun, stellte sich die Frage , welche Sorten bei Nachpflanzungen verwendet werden. Das eingewanderte Wildobst weist schon darauf hin, welche Arten den Klimawandel besser bewältigen können. 2012 und 2014 wurde deshalb eine Versuchspflanzung aus Elsebeere, veredelter Haselnuss (Wunder von Bollweiler), Portugiesischer Birnenquitte, Edelkastanie und widerstandfähiger Walnussorten angelegt. Alle Bäume mussten, wegen der Beweidung, Hochstämme sein und vor Verbiss durch Wild und Kühe geschützt werden. Außer Bäumen könnten in Zukunft aber auch Beerensträucher angepflanzt werden. In der Nachbarschaft wachsen z. B. die sehr seltenen, autochtonen stachelbewehrten Berberitzen (Berberis vulgaris) und bieten bis in den Winter süß-sauere Beeren zur Verfeinerung exotischer Speisen. Entwicklungen regelmäßig kommunizieren Mit Beginn des Projektes standen nicht nur die Pflegemaßnahmen, sondern auch die Verwendung der Walnüsse im Zentrum der Kommunikation. Auf der Internetseite des Projektes (www.walnusswiese.de) wird deswegen nicht nur regelmäßig über Maßnahmen berichtet, sondern es werden auch Rezepte veröffentlicht. Bei einer Wiesenexkursion mit Interessierten entstand der Kontakt zu einem regionalen Feinkosthersteller. Dieser beerntet nun seit 2013 einen Teil der Bäume zur Herstellung „Schwarzer Nüsse“. Die grünen, unreifen Nüsse werden nach der Ernte angestochen, gewässert und u. a. mit Piment, Vanille und Zimt mariniert. Die Delikatesse wird zu Wild, Pasteten und Käse gereicht. Sie eignen sich als außergewöhnliches, regionales und ökologisch erzeugtes Präsent für Mitarbeiter und Kunden. Wanderer auf dem Rheinsteig werden nicht mit einer „Heldentafel“ zum Projekt konfrontiert. Ausschließlich auf Pflanzenschildern, sogenannten Printiketten, wird über Baumarten -und sorten sowie die „Pflanzer und Pfleger“ informiert. Weitere minimalistische, serielle Interventionen wie Vogelnester aus Gras oder ein grüner Weidezaun sollen signalisieren, dass hier etwas passiert! In Zukunft ist beabsichtigt, die Identifikation der Firma und der Kunden mit dem Projekt weiter zu verstärken. Schutz und Pflege der einzigartigen Kulturlandschaft wie auch der Artenschutz sollen als regionale Gemeinschaftsaufgabe in die Mitte gerückt werden. Dabei bietet die Komplexität und Nachhaltigkeit des Projektes die Möglichkeit, immer neue, originäre Aspekte in den Fokus zu rücken. Eines ließ sich dabei leider nicht vermeiden: Ein Foto mit drei lächelnden Herren mit Spaten in der Lokalzeitung.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 5494