BAUEN FÜR KINDER
Die Kinder kommen und werden von der Architektur empfangen.
Flure werden zu Gassen
und öffnen sich zu kleinen Plätzen.
Es gibt Enge und Weite.
Die Blicke wandern und finden Halt.
Natürliches Licht,
Holz vermittelt Geborgenheit,
Ruhe entsteht.
An den Gassen stehen Häuser.
Jede Gruppe bekommt ihr eigenes Haus.
Gemeinschaft entsteht,
Verantwortung wird übernommen.
Wie in einem kleinen Dorf gibt es noch weitere Häuser:
Im Zentrum für die Gemeinschaft.
Daneben für die Bewegung.
Darüber für die Ruhe.
…
Insgesamt 14 Häuser formen sich zu einem kleinen Dorf für Kinder.
Zukunft wächst.
PROJEKTBESCHREIBUNG
„Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Dieses afrikanische Sprichwort beschreibt im Kern unseren Entwurfsgedanken für den Neubau des Kinderhauses St. Regiswind im unterfränkischen Gerolzhofen. Das Bauen für Kinder stand bei dieser besonderen Aufgabe im Mittelpunkt! Im intensiven Dialog mit dem Bauherren und den Nutzern wurde ein maßgeschneidertes architektonisches Konzept entwickelt, das den Weg ebnet zur Umsetzung des pädagogischen Konzeptes des Kinderhauses. Der Bauherr hatte von Beginn an eine klare Vision seines neuen Hauses. Die Architektur soll die Erziehung ergänzen und den Kindern kreative Entwicklungsförderung ermöglichen. Sie soll die Kinder empfangen, ihnen Geborgenheit vermitteln und zur Förderung der Entfaltung der kleinen Persönlichkeiten beitragen. Durch die Verwendung von Naturmaterialien soll eine ruhige Einfachheit geschaffen werden. So ist ein unverwechselbarer Ort zum Spielen, Entdecken, Begegnen, Toben, Meditieren, Lernen, Essen und Schlafen entstanden.
HISTORIE & STÄDTEBAU
Das 1974 errichtete Bestandsgebäude entsprach aus funktionaler, energetischer und pädagogischer Sicht nicht mehr den heutigen Anforderungen an die Nutzung als Kinderhaus und konnte auch den ermittelten aktuellen und zukünftigen Platzbedarf nicht aufnehmen. Dazu kam, dass beim Bestandsbau Teile verbaut wurden, die nicht mehr heutigen Gesundheitsstandards entsprechen. Da eine Sanierung und Erweiterung des stark renovierungsbedürftigen Komplexes technisch, energetisch und wirtschaftlich nicht sinnvoll war, bekamen Brückner & Brückner Architekten die Chance auf dem Bestandsgelände ein innovatives architektonisches Konzept für ein neues Kinderhaus zu entwickeln. Die spannende Herausforderung bestand darin, das beträchtliche Volumen eines Kinderhauses für neun Gruppen mit einer Bruttogeschossfläche von 1.802 m2 architektonisch und städtebaulich gut in die kleinteilige Bebauungsstruktur des umliegenden Wohngebietes aus den 1970er Jahre einzufügen, das heute von vielen jungen Familien mit Kindern bewohnt wird.
ARCHITEKTUR
Die vor diesem Hintergrund entstandene Grundidee basiert auf der Typologie eines Urhauses wie es auch kindlichen Vorstellungen entspricht. Obwohl das Kinderhaus zu den größten Kindergärten der Diözese Würzburg gehört, orientiert sich die Architektur vor allem an kindlichen Größenverhältnissen und -bedürfnissen und zugleich an der umliegenden kleingliedrigen Siedlungsbebauung.
Durch die Schaffung von neun in sich abgeschlossenen und unabhängigen „Häusern“ für eine Hortgruppe, drei Regelgruppen und fünf Kleinkindgruppen werden kleine familiäre Einheiten gebildet. Die einzelnen Häuser bestehen aus einem Wohnraum mit Küchenzeile, einem Schlafraum, der auch als Intensivraum genutzt werden kann sowie einem Bad (mit Wickelraum) und einer Garderobe. Die Fläche über den eingeschobenen Schlaf- und Intensivräumen wurde als Spielemporen aktiviert. Jedes Haus hat zudem unabhängig vom Geschoss Zugang zu einem eigenen Außenraum – eine Erweiterung des Gruppenraumes ins Freie. Ein gemeinsamer, das ganze Kinderhaus umgebende Spielgarten mit einer multifunktionalen Freitreppe steht allen Kindern zur Verfügung. Durch die großen nach Süden ausgerichteten Fensterfronten gelangt viel natürliches Licht in die Gruppenräume. Ein textiler außenliegender Sonnenschutz sorgt für die nötige Verschattung an sonnigen Tagen. Die Fensteröffnungen haben außerdem eine niedrige Brüstung über welche die Kinder in den Garten herausschauen können.
Vervollständigt wird das Dorf sinnbildlich durch einen Marktplatz mit einem Gasthaus. Dieser Speisesaal mit angeschlossener Küche, erweitert sich in den Außenbereich und mündet dort in eine Freitreppe, die auf eine Spielweise führt. Räume für gemeinsame Aktivitäten außerhalb der eigenen Gruppe, wie ein Bewegungs- und Turnraum sowie die Foyers und Spielflure – die Plätze und Gassen des Dorfes – und Räumlichkeiten für Verwaltung, Personal und Technik ergänzen das Raumprogramm. Der Raum der Stille ist ein besonderer Raum der Andacht und Meditation, eine Kapelle mit Blick Richtung Stadt. Der Grundriss ist ein Sonnensymbol aus Schotten und Lamellen. Diese Struktur aus Holz formt ein Nest und schafft Geborgenheit.
KONSTRUKTION
Das Erdgeschoss wurde in Massivbauweise errichtet. Das Obergeschoss wurde rein in Holzbauweise ausgeführt, wobei die Dächer als freitragende Sparrenkonstruktion und die Wände in Holzständerbauweise erstellt wurden. Durch diese Mischbauweise konnte Gewicht gespart, große Deckenspannweiten stützenfrei überbrückt und die Bauzeit optimiert werden. Die Typologie der traditionellen Fachwerkhäuser in Franken diente hier als Inspiration für die Innovation.
MATERIALITÄT
Die Außenhaut bildet eine horizontal gegliederte Holzschalung in lasierter Lärche. Diese ruhige Holzverkleidung wird im Inneren des Kinderhauses konsequent fortgesetzt. Die Holzverkleidung wirkt sich nicht nur positiv auf die Raumakustik aus, sie fördert auch die individuelle Kreativität der Kinder und kann als multifunktionale riesige Pinnwand zur temporären Wandgestaltung genutzt werden. So können die einzelnen Gruppenräume und die Gemeinschaftsbereiche individuell immer wieder gestaltet werden. Warme, natürliche Materialien und Farben, Holz und Naturstein, wurden im Kinderhaus eingesetzt, um bewusst eine ruhige, unaufgeregte Geborgenheit zu schaffen. Auf aufgeregte Farben wurde bewusste verzichtet. Das Dorf wird lebendigt durch die Kinder, deren Spielzeug und Selbstgemaltem und -gebasteltem. So schafft die Architektur Geborgenheit, lässt aber auch Freiraum zur Entwicklung der kleinen Persönlichkeiten.
Die Architekten Christian und Peter Brückner bringen das Besondere beim Bauen für Kinder auf den Punkt: „Am Tag der Eröffnung füllten die Kinder ihr neues Haus mit Leben, erkundeten neugierig und mit weit aufgerissenen Augen die Räume und nahmen es – ganz ohne Gebrauchsanweisung – in Besitz.“
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