Auf den Spuren Le Corbusiers
Umnutzung eines Wohnbauklassikers zum Weissenhof Museum
Seit Jahrzehnten reisen Architekturfans aus aller Welt nach Stuttgart, um dort, auf einer der Anhöhen über der Stadt, die 1927 erbaute Weissenhofsiedlung zu sehen, diesen Meilenstein der Moderne. Die Häuser sind heute immer noch bewohnt – und so blieb die Besichtigungstour bislang meist auf einen Blick über die jeweilige Gartenmauer beschränkt. Um so erfreulicher ist es, dass seit kurzem eine dieser architektonischen Kostbarkeiten ihre Türen geöffnet hat: Das Doppelhaus von Le Corbusier und Pierre Jeanneret, einer der bedeutsamsten Bauten der Siedlung, konnte nach einem Besitzerwechsel zum Weissenhof Museum umgenutzt werden.
Der Typus Doppelhaus legte eine Zweiteilung des Museums nahe. So wurde die rechte, kleinere Haushälfte in Ausstattung und Farbgestaltung so nahe am Original wie nur möglich restauriert und rekonstruiert. Hier bekommt der Besucher einen authentischen Eindruck vom "transformablen Haus" Le Corbusiers zum Zeitpunkt der Werkbundausstellung von 1927 vermittelt.
Die linke, größere Haushälfte beherbergt die Ausstellung mit Exponaten zur Entstehung und Geschichte der Weissenhofsiedlung. Konzeption und Gestaltung stammen, genauso wie das neue Leitsystem für die Siedlung und auch die Wegeführung im rekonstruierten Teil des Hauses, von dem jungen, aber gleichwohl renommierten Stuttgarter Architekturbüro space4, das sich für diesen Auftrag durch einen 2004 gewonnenen Wettbewerb qualifiziert hatte. Charakteristisch für den Ansatz von space4 ist, dass die Räume, die seit 1927 natürlich mehrfach – und ganz und gar nicht im Sinne Le Corbusiers – umgebaut worden sind, weder in ihren ursprünglichen Zustand zurückgebaut noch einfach rigoros freigeräumt wurden, um mehr Platz für die Ausstellung zu schaffen. Vielmehr hat space4 eine kulturgeschichtliche Strategie verfolgt, die auch die historischen Veränderungen am Haus als aufschlussreiche Zeitzeugnisse bewertet und dokumentiert. Und so überlagerten die Architekten den Ist-Zustand des Hauses mit der ursprünglichen Struktur: Wo Le Corbusier die Bettschränke vorgesehen hatte, stehen jetzt gläserne Vitrinen der entsprechenden Kubatur, die zum Teil von den nachträglich eingezogenen Wänden durchschnitten werden. Den Erschließungsgang verengt eine Glaswand auf die von Le Corbusier vorgesehene Breite von 60 (!) Zentimetern, wodurch im Zusammenspiel mit der dahinter befindlichen Wand eine weitere Vitrine entsteht. An den wenigen Stellen, an denen – abgesehen von den großen Schränken – eine Möblierung vorgesehen war, nämlich jeweils Tisch und zwei Stühle an der Fensterfront des Wohn- und Schlafzimmers, im Frühstückszimmer und in der Bibliothek, befinden sich nun auf schlanken Objektträgern frei im Raum stehende Exponate.
Dieses Ineinandergreifen der abstrakten Nachbildung von Le Corbusiers ursprünglichem Konzept einerseits und andererseits der vorgefundenen Situation, nachdem das Haus 80 Jahre lang den Bedürfnissen seiner wechselnden Bewohner angepasst wurde, bietet den Besuchern viele Möglichkeiten zu eigenen Entdeckungen und Rückschlüssen. Zusammen mit den hervoragend kommentierten und ästhetisch präsentierten Exponate entsteht so
– diesmal sicher ganz im Sinne Le Corbusiers – eine wahre Informationsmaschine!
Über die Zeit - dann 2006 DENKMAL UND MUSEUM
Die experimentellen Wohnideen Le Corbusiers finden bei Mietern kaum Anklang. Bereits wenige Jahre nach seiner Entstehung wird das Gebäude wichtiger Elemente beraubt, um ein weitgehend konventionelles Wohnkonzept umzusetzen. Bis in die 1960er Jahre erfolgen weitere Umbauten. Die Generalsanierung 1983/84 ermöglicht es, die rechte Haushälfte wieder dem Zustand von 1927 anzunähern.
2006 wird das Doppelhaus von Le Corbusier zum Museum. Die Landeshauptstadt Stuttgart, die Bauherrin von 1927, hat es 2002 wieder erworben. Im gleichen Jahr nimmt die Wüstenrot Stiftung das Gebäude in ihr Denkmalprogramm auf. Die neue Nutzung und konstruktive Schäden machen die Instandsetzung notwendig. Der unterschiedliche denkmalpflegerische Umgang in den beiden Haushälften bestimmt das Museumskonzept. Die rechte Haushälfte dokumentiert als ein „begehbares Exponat“ den Zeithorizont 1927 Die linke Haushälfte wird zum Ort der Information über die Weissenhofsiedlung. Die Museumseinrichtung entsteht als „Echo“ auf den ursprünglichen Grundriss, ohne die Spuren baulicher Veränderungen zu verwischen. Gläserne Einbauten bilden einen Kontrast zur vorgefundenen Situation und überlagern die verbliebene Originalbausubstanz sowie die späteren Umbauten.
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