2001 zogen die geisteswissenschaftlichen Institute der Universität in das denkmalgeschützte IG-Farben Hochhaus im Frankfurter Stadtteil Westend um. Damit übernahm die Universität ein Gebäude von herausragender architektonischer und städtebaulicher Qualität. Diese Chance hatte sich als Folge der politischen Ereignisse nach 1989 eingestellt: Das ursprünglich als Verwaltungssitz des IG-Farben-Konzerns von dem Architekten Hans Poelzig 1929 errichtete, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Hauptquartier der V. US-Armee genutzte Ensemble wurde mit dem Rückzug der Amerikaner aus Deutschland frei. Für die Universität eröffnete sich dadurch die einmalige Gelegenheit, an einem außerordentlich attraktiven Standort innerhalb der Stadt einen neuen Campus für die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften einzurichten: Bietet schon das Poelzig-Ensemble den meisten geisteswissenschaftlichen Instituten Raum, so eröffnet die Lage des IG-Hochhauses am Rand eines weitläufigen innerstädtischen Grundstücks alle Möglichkeiten, den Campus baulich im gewünschten Umfang zu erweitern. Dafür wurde 2002 ein offener internationaler Wettbewerb ausgelobt. Aus 197 eingereichten Arbeiten wurde als Grundlage für den Ausbau der Entwurf des Architekten Ferdinand Heide ausgewählt:
Inspirationsquelle für den preisgekrönten Entwurf waren der vorgefundene Ort, die Qualitäten der Freiräume – des Gartens zwischen Poelzigbau und Casino - und die Qualität der Bauten Poelzigs. Die Freiraumqualitäten finden sich in dem neuen Park wieder, in den die Neubauten platziert werden. Architektur und städtebauliche Struktur schaffen einen besonderen Ort. Dieser verleiht der Goethe - Universität eine räumliche und bauliche Identität.
Vorgesehen ist, dass auf dem 39 Hektar großen Areal in Ergänzung zu dem vorhandenen IG-Farben-Haus zahlreiche weitere Gebäude für die Universität entstehen. Insgesamt werden in den kommenden Jahren Neubauten — Institutsgebäude, Bibliotheken, studentisches Wohnen, Hörsäle, Mensa etc. — mit 300 000 qm Fläche für ca. 25 000 Studenten geschaffen. Der Ausbau des Universitätsstandortes Campus Westend bietet die Möglichkeit, alle Fachbereiche der Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften auf einem parkartigen Areal um eine zentrale Mitte - einen Campus - anzuordnen. Dieses Ziel wird erreicht, indem die Neubauten so platziert werden, dass der großzügige parkartige Charakter erhalten bleibt. In seiner Mitte befindet sich in Verlängerung des Casinos ein Band mit den zentralen Einrichtungen. Die neuen Institutsgebäude liegen am Rand und bilden im Norden und Osten eine Kante zur Stadt. Der Grüneburgpark – eine angrenzende öffentliche Parkanlage – wird durch die Gestaltung der Freiflächen und das neue Wegenetz in den Campus Westend einbezogen und fortgeschrieben. Der Ausbau der Universität wird sich in drei bis vier Bauabschnitten vollziehen. Die Vollendung wird voraussichtlich in den Jahren 2014 mit dem Neubau einer Zentralbibliothek erfolgen. Im städtebaulichen Entwurf behält das IG-Farben-Hochhaus in der Komposition der Baukörper seine zentrale Bedeutung: Die denkmalgeschützte, achsiale Freianlage, in deren Mitte sich das Casino befindet, wird über zwei„ Grünspangen“ und über das zentrale Band nach Norden fortgesetzt. Dabei bleibt das IGFarben-Hochhaus auch in der Höhenentwicklung die Dominante und Stadtkrone im Sinn Poelzigs. Alle Institutsgebäude haben eine einheitliche Höhe. Klare Baukörper, die in einem spannungsvollen Verhältnis zueinander stehen erzeugen Urbanität und Dichte. Neue Mensa und Hörsaalgebäude sind an einem Platz gelegen, der als Pendant zum zentralen Wasserbecken der unteren Ebene die neue Mitte des oberen Plateaus darstellt. Das Universitätsgelände wird von der Stadtseite und vom Park an wenigen, aber prägnanten Stellen – neuen Eingangsplätzen – erschlossen. Die neue Zentralbibliothek bildet mit den Kunst und Erziehungswissenschaften den nördlichen Stadt- und Universitätseingang.
Architektur und Struktur der Gebäude auf dem Campus sind geprägt von der Idee des Ensembles mit den Poelzig-Bauten. Schon im städtebaulichen Konzept wurde als wesentlicher Eckpunkt formuliert, die Erweiterungsbauten der Universität der charakteristischen Materialität des Poelzigbaus anzupassen. Leitidee war ein bauliches Ensemble und eine städtebauliche Ordnung von integrativer und ganzheitlicher Qualität. Verbunden war die räumliche Zielvorstellung mit der Idee der Hochschule als Ort der Kommunikation und des Austausches. So sieht der Masterplan Neubauten vor, die einerseits kraftvolle Volumen darstellen, die auf die Monumentalität der Poelzigbauten reagieren, die andererseits in Ihrer Typologie und Architektursprache dennoch der Universität einen offenen, heiteren Charakter verleihen sollen.
Die Freiflächengestaltung orientiert sich an der historischen Anlage: Die Wege der vorhandenen Gartenanlage in Nordsüd-Richtung folgen den seitlichen Fluchtlinien des IG-Farben Hochhauses und treffen sich in einem imaginären Punkt. An diesem imaginären Ort – der Mitte des gesamten Areals – befinden sich die zentralen Funktionen Hörsaalgebäude und Campusplatz. Das Konzept des zentralen Bandes lehnt sich an die Planung von Mattern und Poelzig an, in der schon Achsialität und parallele Weiterentwicklung vorgegeben waren.
Die Parkgestaltung folgt dem Leitbild eines Landschaftsgartens: Baumgruppen auf weiträumigen Rasenflächen gliedern den Raum und ermöglichen Blickbeziehungen. Alle neuen Gebäude werden so angeordnet, dass der wertvolle Baumbestand erhalten bleibt.
Der Park wird begrenzt von Institutsbauten. Zwischen der Bebauung wird zum Grüneburgpark eine großzügige Öffnung geschaffen: Die stark ansteigende Topografie wird genutzt, um einen terrassenförmig zum Park abfallenden Garten auszubilden. Die Erschließung des Campus, das neue Wegenetz, sowie die großzügigen Eingangsbereiche im Norden und Süden verflechten den Hochschulcampus mit der Stadt.
2004 - nachdem der städtebauliche Entwurf in einer verbindlichen Bauleitplanung festgeschrieben wurde – konnte für die Gebäude des ersten Bauabschnitts ein internationaler Realisierungswettbewerb unter 50 renommierten Architekturbüros ausgelobt werden.
Ausgewählt wurden der Entwurf der Berliner Architekten Müller-Reimann für das neue Gebäude der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, der Entwurf der Berliner Architekten Kleihues + Kleihues für das House of Finance, der Entwurf des Münchner Büros Karl und Probst für die Studentenwohnheime sowie die Entwürfe für Hörsaalzentrum und Anbau an das Casino des Architekten Ferdinand Heide. Diese zur Realisierung anstehenden ersten fünf Gebäude werden ganz wesentlich das neue Ensemble bestimmen: Sie sollten gemäß dem städtebaulichen Konzept miteinander und mit den Bauten Poelzigs korrespondieren. Ziel ist eine Campus-Universität mit urbanen Qualitäten und Dimensionen. Diese Vorgabe wurde von jedem Teilnehmer unterschiedlich interpretiert. Alle Entwürfe tragen individuelle Handschriften der einzelnen Architekturbüros, respektieren aber konsequent das städtebauliche Leitbild und meine schon im städtebaulichen Entwurf formulierte Vorstellung von steinernen Gebäuden, die sich in ihrer Materialität und Farbigkeit auf den Poelzig-Bau beziehen.
So bilden die Gebäude der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften den Übergang zwischen Campus und Grünburgpark. Auf einem ausladenden, zweigeschossigen Sockelbaukörper sind zwei kompakte dreigeschossige Volumen aufgesattelt, in denen jeweils ein Fachbereich untergebracht ist. Wie schon im städtebaulichen Rahmenplan vorgesehen, befindet sich im gemeinsamen Sockel die Fachbereichsbibliothek, die sich großzügig zum Campus und zum Park öffnet. In dieser Organisation spiegelt der Baukörper exemplarisch das im städtebaulichen Konzept intendierte Leitbild wieder: Die Gebäude leben vom Wechsel zwischen einer ruhigen introvertierten Institutsatmosphäre und einer Campusöffentlichkeit - einem Hochschulbetrieb - der auf Kommunikation und Interaktion zielt.
Das House of Finance wendet sich gleichermaßen Poelzigbau und Skylinie wie Campus und Grüneburgpark zu. Kernstück ist eine zweigeschossige Halle, die das Zentrum des neuen Instituts bildet. In seiner Architektursprache orientiert es sich stark an den Bauten Poelzigs. Fassade und Baukörper sind klassisch gliedert und von klarer Ordnung.
Die Studentenwohnheime sind für das Leben auf dem Campus von ganz wesentlicher Bedeutung. In 400 Appartements werden zukünftig die Studierenden in insgesamt sieben Einzelhäusern, die auf einem gemeinsamen Sockel angeordnet sind, im Zentrum des Campus wohnen.
Bei Hörsaalzentrum und Mensa wurde - wie schon im städtebaulichen Entwurf intendiert - auch im Realisierungswettbewerb das Konzept von aufeinander abgestimmten aber eigenständigen Häusern weiterverfolgt. Es sind klare Volumen, die in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander im Park platziert werden. Jedes Haus ist wie eine Skulptur im Park – ein monolithischer Körper – aus dem zur Akzentuierung Volumen herausgeschnitten werden. Dadurch erhalten die Häuser eine deutliche Ausrichtung, Form und Struktur. Hörsaalgebäude und Mensa (Anbau an das Casino) verstehen sich in diesem Ensemble als identisch gestaltete Volumen, die sich am Universitätsplatz gegenüberstehen. Die Architektur dieser Häuser folgt einer zentralen Idee: Sie reagiert konzeptionell auf die Architektur Poelzigs aber in einer eigenen, zeitgemäßen Interpretation: Große verglaste Öffnungen, die Innen und Außen miteinander verzahnen, stehen im Wechsel mit ruhigen geschlossenen Flächen. Bedeutende Funktionen wie Foyer, Hörsäle oder Speisesaal zeichnen sich durch besondere Öffnungen nach außen ab und erzeugen ein spannungsreiches Spiel in den Fassaden. Flächen, Volumen und Einschnitte bilden eine Komposition. Sie wird unterstützt durch die Verwendung eines Travertin, der der Natursteinverkleidung den äußeren Hüllflächen eine lebendige, stark strukturierte Oberfläche verleiht, und den nach Innen führenden tiefen Leibungen der Öffnungen scharfkantige Kontur gibt. Als Verfasser des städtebaulichen Rahmenplans war ich in der besonderen Lage, meine Konzeption - meine Idee von dem neuen Campus - nur interpretieren und auf die einzelnen Gebäude übertragen zu müssen. Im städtebaulichen Entwurf galt es den Raum zu definieren, zu strukturieren und zu ordnen. Im darauf folgenden hochbaulichen Wettbewerb war jedes einzelne Gebäude detailliert zu planen. Haben wir bei dem Städtebau besonderes Augenmerk auf die Räume zwischen den Häusern gelegt, haben wir in der Realisierungsphase an der Verzahnung der Innenräume mit dem Außenraum gearbeitet. So haben das Foyer und alle Säle des Hörsaalzentrums eine Beziehung zum Park und zum Platz. Der Baukörper hat eine Ausrichtung nach allen Seiten bei gleichzeitiger Akzentuierung des zentralen Bandes. Die Hörsäle liegen sich paarweise gegenüber; dazwischen befindet sich ein über alle Geschosse offenes Foyer in Fortsetzung des Platzes. Das Hörsaalzentrum bildet zusammen mit der Mensaerweiterung eine Einheit, sie begrenzen den Campus-Platz. Beide fungieren im zentralen Band als Bindeglied zwischen Alt und Neu sowie zwischen Nord und Süd.
Das Hörsaalzentrum verkörpert als Gebäudetypus die Idee der Universität. Es bildet das Zentrum der neuen Universität und ist der Ort, an dem zukünftig alle Studierenden zusammenkommen und sich fachübergreifend austauschen. Gleichzeitig dienen die großen repräsentativen Säle der Stadt als Veranstaltungsräume für Tagungen, Kongresse oder im Falle des Auditorium Maximum auch für Filmveranstaltungen oder Konzerte. Zusätzliche Angebote wie ein öffentliches Restaurant und kleine Läden stärken die Urbanität.
Planungsphase: 2003-2005
Bauphase: 2006-2018
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