Text von Dominique Boudet für Architektur Aktuell N° 406/407 Februar 2014
Übersetzung
Université de Provence à Aix-en-Provence – Natur statt Technologie
Nicht immer ist die große Geste gefragt. Beim Weiterbau eines Campus aus den 1960er Jahren zeigt Dietmar Feichtinger, dass Mehrwert eher mit Zurückhaltung, klug platzierten Kuben und subtilen Fassadenrhythmen als mit auftrumpfenden skulpturalen Symbolen zu erzielen ist.
Geste als Provokation
Zuweilen besteht die ganze Kunst des Architekten darin, seine Wirkungen ermessen zu können. Und nicht danach zu trachten, eine Architektur zu verordnen, die sich als fehl am Platze oder in Widerspruch zu den Vorgaben des gestellten Problems erwiese, sei es auf programmatischer, sei es auf kontextueller Ebene. In manchen Fällen ist Zurückhaltung die beste Antwort und Zeichen eines echten Verständnisses der jeweiligen Situation.
Als Dietmar Feichtinger an das Projekt der Erweiterung der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Aix-en-Provence heranging, sah er sich einem Widerspruch gegenüber. Auf der einen Seite musste der Zubau lagebedingt einen Eingang des Campus markieren. Auf der anderen Seite legten weder Programm noch Kontext einen spezifischen architektonischen Ausdruck nahe. Das umfangmäßig bescheidene (8.000 m2) und in seiner Zusammensetzung (Hörsäle und Büros) banale Programm enthielt keinen der Bestandteile wie Auditorium oder große Bibliothek, die einen starken architektonischen Ausdruck gefordert hätten. Außerdem sträubte sich die trostlose Mittelmäßigkeit des Kontexts gegen eine allzu markante Architektur. Angesichts einer kargen Provinzstadt-Peripherie, eines Haufens von Häuschen mit ihren Kleingärten, banaler Werkstätten und Pizzerien, wo da und dort ein Sozialwohnbau aufragt, hätte auch nur die kleinste architektonische Gebärde unpassend, ja provokant gewirkt.
Raum statt Objekt
Deshalb fiel Feichtingers Wahl auf Zurückhaltung, um nicht zu sagen: architektonische Neutralität. Einem Objekt zieht er einen Raum vor, einem vollen Volumen ein leeres, einer Architektur einen Ort. Indem er das Programm in mehrere kleine Bauten aufsplittert, lässt er einen Eingang in den Campus entstehen. Durch die Finesse der Positionierung der Bauten und die Subtilität des Ausdrucks der Fassaden gibt er dem Ort eine Identität. Zwei wesentliche Komponenten des Projekts, für die sich Feichtinger die charakteristischen Züge des Campus zu Eigen macht und sie zugleich neu interpretiert. Eine diskrete Art, diesen kleinen Zubau in eine von Frankreichs wichtigsten Universitätsanlagen zu integrieren.
Eines der Wesensmerkmale des Campus von Aix-en-Provence, das aus seiner beengenden Topographie (ein sehr abschüssiges Gelände) folgt, ist die Existenz kleiner Plätze direkt vor den Gebäuden. Sie alle stellen Erholungsflächen entlang den Wegen über den Campus dar. Feichtinger greift dieses urbane Muster auf: Er teilt das Programm in drei kleine Blöcke unterschiedlicher Größe und Konfiguration und erzeugt so ein virtuelles Rechteck, dessen Mitte eine leere Fläche ist. Die Position dieses von den Straßen zurückgesetzten Ensembles vermeidet die direkte Konfrontation mit dem Kontext. Den Campus betritt man, indem man diesen Raum durchquert. Die Anordnung der Bauten lässt zwei Orientierungen entstehen, zwei Straßen, welche die Studenten entweder zu den Hauptgebäuden auf den Anhöhen des Campus oder zur benachbarten Bibliothek führen. Dieser ruhige Ort, der aufgrund seiner Proportionen mit einem großen Innenhof verglichen werden kann, bildet einen beruhigten Eingang in den Campus, sowohl im Hinblick auf den äußeren Kontext als auch gegenüber den schroffen Wegverläufen, denen die Studenten folgen müssen, um die einzelnen an den Hängen abgestuften Gebäude zu erreichen.
Offen zum Himmel
Die Anordnung der drei Blöcke hat auch den Vorteil, diesen Raum vor dem Mistral zu schützen, einem kalten Wind, der oft von Norden weht und eines der klimatischen Probleme der Region darstellt. Das andere ist die starke Sonneneinstrahlung, ein schönes Privileg dieser Region, das jedoch nur erträglich ist, wenn es sich mit den Wohltaten des Schattens verbindet. Umso mehr möchte man bedauern, dass die Platanen vor Ort, die versetzt wurden, um dem Bau Platz zu machen, durch kümmerliche Sträucher ersetzt wurden, die Jahre brauchen, um zu voller Entwicklung zu gelangen. Auch steht zu hoffen, dass einiges Mobiliar diesen Außenbereich bald wohnlich macht und einlädt, sich dort aufzuhalten. Dazu könnte auch ein Brunnen zählen – ein ganz typisches Element überall in dieser Region, das auch hier seine Berechtigung hätte: Unter dem Vorhof fließt ein Fluss vorbei, was den Tiefbauten verhindert und zur Errichtung eines nahe gelegenen offenen Parkplatzes geführt hat.
Durch die Einheitlichkeit von Materialien und Bauweise verstärken die Fassaden diesen Eindruck von etwas Großem, zum Himmel hin Offenen. In ihrer Konzeption suchte der Architekt nach einem engen Bezug zu den bestehenden Gebäuden. Diese, in den 1960er Jahren, zur Zeit der starken Erweiterung des Campus von Aix-en-Provence, erbaut, zeichnen sich vor allem durch eine markante architektonische Handschrift aus: die ziemlich emphatische Wiederholung hoher Arkaden, die einen gedrängten vertikalen Rhythmus erzeugen. Eine Verkleidung aus leicht ockerfarbenen Betonplatten soll diese Bauten mit der Landschaft der Provence verschmelzen lassen.
Klassischer Rhythmus
Diesen Rhythmus und diese Vertikalität interpretiert Feichtinger neu, aber gewissermaßen in Moll, indem er alle Fassaden mit dem System der NACO-Verglasung ausstattet. Das ist ein sehr einfaches und wirtschaftliches System, bestehend aus einer Abfolge von Siebdruck-Glaslamellen, die sich an ihrer Horizontalachse drehen und partiell überlappen, um Dichte zu gewährleisten. Ein System, das einfach durch die Bewegung der Lamellen die Intensität des herrlichen Lichts der Provence, dessen Gewalt Van Gogh in den Wahnsinn trieb, steuern lässt. Die Abfolge der über die ganze Höhe gehenden NACO-Raster sorgt für die angestrebte Vertikalität. Die Behandlung der Fassaden ist je nach Position unterschiedlich. Jene zum Innenhof hin bestehen zur Gänze aus NACO-Bändern. Das Ergebnis ist eine Homogenität der Oberflächen. Hier wird die Außenhaut eine Art von Tapete, was die räumliche Einheit des Ortes und seinen Outdoor-Charakter verstärkt. Nur die Variationen in der Positionierung der Lamellen, die zugleich auf die Räume dahinter verweist, sorgen für eine leichte Animation. An den nach außen gedrehten und direkt den alten Bauten zugewandten Fassaden alternieren die NACO-Bänder mit Pfeilern aus dünnen Faserbetonplatten. Hier lässt der klassische Rhythmus von vollen und leeren Flächen die Bauweise erraten. Die Struktur besteht aus tragenden Mauern aus Stahlbeton, wo sich in einem gedrängten Raster identische leere und volle Flächen abwechseln. Aufgrund der geringen Lasten konnte auf Innenstützen verzichtet werden. Alle Räume sind innen in Sichtbeton belassen. Für gute Akustik in den Hörsälen und Büros sorgen lange zylindrische Boxen zur Vergrößerung der Absorptionsfläche.
Traditionelle Nachtkühlung
Die Betonmasse trägt zur Wärmeträgheit des Gebäudes bei und nimmt Bedacht auf die klimatischen Bedingungen der Region mit den ausgeprägten Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht. Nur die Hörsäle verfügen über eine Luftkühlanlage. In den anderen Räumen sorgen traditionelle Mittel für Komfort: eine starke Außenisolierung der vollen Volumen, dreifacher Schutz der verglasten Teile: Doppelverglasung, Markise und NACO-System an der Fassade. Bei geschlossenen Lamellen wird die Lichttransmission innerhalb eines Raumes um 70% gesenkt. Wie in den Häusern der Provence, wo man die Fensterläden tagsüber zum Schutz vor der Hitze schließt und sie nachts öffnet, um die kühle Luft hereinzulassen, hängt auch hier der thermische Komfort vom Verhalten des Raumnutzers ab. „Ich ziehe die Natur der Technologie vor“, sagt Dietmar Feichtinger.
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