Unter der Leitidee „Entwerfen, Planen und Bauen“ finden seit 2006 an der RWTH Aachen Lehrveranstaltungen statt, in der Schulen und Kindergärten in strukturell schwachen Gebieten Südafrikas geplant und gebaut werden. Von der ersten Entwurfsskizze über die Entwicklung von Modellen und Ausführungsplänen, bis zur konkreten Realisierung durchlaufen die Studenten innerhalb eines Jahres sämtliche Phasen eines Bauprojekts. Neben Ausführungsplanung und Massenermittlung gehört dazu auch Zeitplanung, Finanzierung und Kostenkontrolle. Bei der Realisierung erlernen die Studenten den Umgang mit verschiedensten Baumaterialien und deren spezifische Anwendung sowie den vollständigen Ablauf einer Baurealisierung vom Ausheben des Fundaments bis hin zum Verlegen der Lichtschalter und Bau der Inneneinrichtung. Durch das intensive Arbeiten im Team können die Projekte innerhalb von 7 - 12 Wochen gebaut werden.
Bislang haben wir vier Projekte realisiert: Einen Kindergarten, eine Mehrzweckhalle und ein Klassengebäude für das Ithuba Skills College im Süden Johannesburgs, sowie einen Kindergarten in Prince Alfred Hamlet nördlich von Kapstadt. Alle Projekte entstehen in enger Zusammenarbeit mit südafrikanischen NGOs und einheimischen Helfern. Dadurch ist gewährleistet, dass die Gebäude nach ihrer Fertigstellung verantwortlich genutzt und instandgehalten werden.
Die unmittelbare Erfahrung der Projekte prägt nachhaltig die Lehrenden und Studenten der RWTH Aachen, aber auch die südafrikanischen Helfer, Bewohner der Townships und deren Familien. Studierende lernen, die selbst entwickelten Entwürfe eigenständig umzusetzen; Improvisation und Materialökonomie ist genauso wichtig, wie ein verantwortliches Bewusstsein für bauliche Qualität und Angemessenheit. Dazu gehört auch, Architektur als soziale Praxis zu begreifen und in aller Konsequenz umzusetzen.
Entwurf
Unser drittes Selbstbauprojekt „Hamlet Créche“ liegt in Phase 4, einer Townshiperweiterung am Rande des Ortes Prince Alfred Hamlet in der Region Witzenberg im Western Cape. Vor etwa fünf Jahren wurden hier die selbstgebauten Blech- und Holzhütten (Shacks) einer informellen Siedlung durch staatlich geförderte kleine RDP-Häuser (Reconstruction and Development Programme) aus Stein ersetzt. Für die ca. 300 dort lebenden Kleinkinder gab es bislang keinen Kindergarten. Aufgabe war daher, in prominenter Lage gegenüber dem Township ein nachhaltiges Raumprogramm zu entwickeln, welches Platz für 80 Kinder im Alter zwischen 3 Monaten und 5 Jahren und einen Versammlungsraum bietet sowie Potential für eine spätere Erweiterung schafft. Es galt ein Konzept zu erarbeiten, dass ortsübliche und vor allem preisgünstige Materialien verwendet, beispielsweise auf der Baustelle selbst hergestellte massive Lehmsteine oder recycelte Obstkistenhölzer der lokalen Farmbetriebe, sowie geringe Unterhaltskosten sicherstellt.
Der Kindergarten besteht aus drei Gruppenräumen, einer Küche, Lager- und Wäscheraum, Sanitärräumen, einem Büro sowie Aufenthalts- und Spielflächen im Außenraum. Zwei Gruppenräume können durch eine bewegliche Zwischenwand zusammengeschaltet werden und bieten so zusätzlich einen Versammlungsraum für das benachbarte Township.
Zur Strasse hin gibt es eine Suppenküche, die auch Bewohner des Townships mit Essen versorgt und maßgeblich für die Ausrichtung des Gebäudes auf dem Grundstück war. Im Süden vorgelagert liegt eine überdachte, langgestreckte Loggia, die sich vor der Küche zu einem großzügigen Ess- und Spielbereich ausweitet. Rund um das Gebäude gibt es einen Spielplatz. Neu angelegte Bäume werden in Zukunft hier Schatten spenden.
Klima & Technik
Das Klima in Prinz Alfred Hamlet zeichnet sich durch sehr heiße Sommer, aber auch relativ kühle Winter aus, in denen Temperaturen unter Null Grad Celsius und auch Schneefall keine Seltenheit sind. Es wurde daher auf der Nordseite des Gebäudes eine Mauerwerkswand aus selbst gefertigten Lehmsteinen vorgesehen und in den übrigen raumabschließenden Holzständerwänden lose Lehmsteine als Speichermasse eingebaut. Somit kann im Winter die Wärme der tief stehenden Sonne als passiver Wärmeeintrag gespeichert und ein vollständiges Auskühlen des Gebäudes verhindert werden. Gleichzeitig wird im Sommer die Erwärmung der Räume durch die hohe Speichermasse und die thermische Trägheit der Lehmwände reduziert. Bewegliche Blendläden vor den Fenstern für den sommerlichen Sonnenschutz sind zusätzlich geplant.
Heizungseinrichtungen wurden, wie in den umliegenden Wohnhäusern auch, nicht vorgesehen; das Raumklima gestaltete sich jedoch im ersten Jahr wesentlich gleichmäßiger und nutzungsfreundlicher als ohne die Lehmwände. Warmwasser für die Sanitärräume und Küche wird über Durchlauferhitzer sichergestellt.
Konstruktion
Der Kindergarten ist in Holzbauweise mit massiver Bodenplatte auf Streifenfundamenten ausgeführt. Die Dachkonstruktion besteht aus einer Reihung asymmetrischer Satteldächer, die elementweise auf der Bodenplatte vorgefertigt und anschließend mit Hilfe eines Mobilkrans auf die tragenden und aussteifenden Holzständerwände bzw. Stützen gesetzt wurden. Einen besonderen Reiz macht hierbei die wechselseitig angeordnete Faltung in der Dachuntersicht aus. Sie ist durch die kraftschlüssige Verbindung der unterseitigen Beplankung mit den oberseitigen Sparren- und Zugbandquerschnitten Teil des Tragwerks, einer Sparrendachkonstruktion von 5,4 m Spannweite mit versetzt angeordneten Zugbändern. Für die Verbindungen der Holzkonstruktion, insbesondere der Dachelemente, wurden selbstbohrende Vollgewindeschrauben verwendet, welche eine schnelle Montage und tragfähige verdeckte Anschlüsse ermöglichten.
Im Norden sind die Holzständer der Außenwand mit den massiven, selbst gefertigten Lehmziegeln ausgefacht und beidseitig verputzt. Im Süden, Osten und Westen sind die Wände innenseitig mit großformatigen Sperrholzplatten verkleidet. Zwischen die Holzstützen sind ungebrannte Ziegelsteine als Speichermasse gestapelt, die zusätzlich von außen gedämmt sind. Darauf aufgebracht ist außenseitig eine Beplankung aus recycelten Obstkistenbrettern. Die Dachhaut besteht aus verzinktem Blech, welches über ortsansässige Betriebe hergestellt wurden. Die Innenwände sind teilweise mit Lehmputz versehen, teilweise mit großformatigen Sperrholzplatten verkleidet und mit farbigen Ornamenten verziert.
Realisierung
Das Gebäude wurde in Zusammenarbeit mit Studenten und Helfern des Townships errichtet.
In der ersten Bauphase im Frühjahr 2010 (7 Wochen) wurden der Rohbau und die Fassaden gebaut, im Herbst 2010 innerhalb von 4 Wochen der Innenausbau fertig gestellt. In der Zwischenzeit war das Haus von örtlichen Handwerkern verputzt und die Fußböden verlegt worden. Die äußerst knappe Bauzeit wurde durch die Aufteilung in unterschiedliche Bautrupps und die getrennte Vorfertigung der Dachelemente erreicht.
Der Kindergarten wurde nach der Fertigstellung und Abnahme durch die Behörden an die Betreiber, die Non-Profit-Organisation Badisa, übergeben. Die Finanzierung der laufenden Kosten ist durch Kommune und Staat gewährleistet.
Der Kauf der Baumaterialien wurde durch Spenden von Henkel Smile und Vuya! LTD Südafrika sowie privaten Spendern finanziert. Die Unterbringung der Studenten in einer alten Schule vor Ort wurde von Vuya! LTD Südafrika unterstützt, während die Kosten für Flüge von den Studenten selber getragen wurden. Viele Hersteller aus Deutschland und Südafrika stellten Werkzeuge und Maschinen kostenlos zur Verfügung. Auch für die Finanzierung von Möbeln und Spielzeug, Bepflanzung und Material für Spielplatzgeräte engagierten sich vor Ort viele Privat- und Firmenspender.
Die Verwendung des Baustoffes Lehm, welcher vor Ort überall umsonst zu finden ist, ist auf großes Interesse einiger ortsansässiger Arbeiter aus dem Township gestoßen. Diese bauen nun in Form einer kleinen „Ich-AG“ eine Firma für Herstellung und Vertrieb der luftgetrockneten Steine auf. Weiterhin hat der Bau des Kindergartens innerhalb der Gemeinde und Farmer eine neue Zusammengehörigkeit hergestellt, die weitere Förderprojekte angestoßen hat.
Autoren: Bernadette Heiermann, Christoph Koj, Arne Künstler, Judith Reitz
Projektleitung:
RWTH Aachen
Lehrstuhl für Gebäudelehre und Entwerfen
Dipl.-Ing. Bernadette Heiermann
Dipl.-Ing. Judith Reitz
RWTH Aachen
Lehrstuhl für Tragkonstruktionen
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Trautz
Dipl.-Ing. Christoph Koj
Dipl.-Ing. Arne Künstler
Entwurf und Tragwerksplanung:
StudentInnen der RWTH Aachen
Fakultät für Architektur
Ausführung:
StudentInnen der RWTH Aachen
Fakultät für Architektur
mit zahlreichen Helfern vor Ort
in Kooperation mit der Henkel Friendship Initiative und Vuya! Investments LTD Südafrika
Witzenberg Municipality
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